Wieviel Ich verträgt Bach?
Oswald Schroeder | 9. November 2014
Beim gestrigen DantonDenkRaum kam die Frage auf: Wieviel Bach vertrage ich? Wieviel Ich verträgt Bach? Wieviel muss ich von mir selber geben, damit Bach uns auch noch heute berührt und von der reinen Interpretation zu einem Kunstereignis wird. Ob Interpret oder Zuhörer, je mehr ich von mir selber gebe, umso mehr Bach wird den Raum erfüllen, Zeit Schaffen, damit Neues an unser Ohr dringen kann. Jeder Bach wird anders sein, selbst wenn er zum tausendsten, zum millionsten Mal aufgeführt wird. Denn alles kehrt wieder, immer wieder. Immer anders, immer neu. Die Frage ist lediglich: Wie kann ich als Interpret – und als Zuhörer – der (scheinbar) toten Partitur Leben einhauchen? Wie viel Leben kann ich ihr einhauchen? Wie kann ich die Fuge mit mir – und mit Bach – in den ewigen Ozean des Werdens, in den Tanz der Wellen, in den Prozess des ewigen Schöpfens tragen? Wie viele von den Wellen, von den Schwingungen, die jeder, der sie hört, in die Interpretation hineingibt, gelingt es uns aufzunehmen, zu verstärken, verstärkt in den Raum zurückzuwerfen, der sie auch zum Schwingen bringt? Und so wird die Fuge jedes Mal wo wir sie spielen mehr, mehr Meer, mehr Welle, mehr Ozean, mehr Leben. Nur so, nur indem wir sie spielen, indem wir sie hören, indem wir ihr Raum und Zeit geben und beide mit ihr füllen, kann sie leben und neues Leben zeugen. Und je inniger wir uns diesem Prozess des kreativen Schaffens, des Neu-Erschaffens, kurz der Schöpfung hingeben, statt die Fuge als etwas Längst-Geschaffenes hinzunehmen und passiv in unsere Ohren Strömendes zu begreifen, umso mehr gelingt es uns selbst Künstler, selbst Schaffende zu werden. Dann wird auch Bach sich nicht mehr im Grabe umdrehen müssen, sondern dort tanzen und weiter Zukunft schaffen: für unsere Instrumente, für unsere Hände, unsere Ohren – für eine bessere Welt.
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