Weltspiel als Weltmetapher
Heribert Heere | 21. Dezember 2014
Als ich am 16.11.2014 abends das intermediale Kunstprojekt DantonDenkRaum in der Anatomie der LMU München mit den steilen amphitheaterartigen Rängen betrat, musste ich unwillkürlich an das „theatrum anatomicum“ der frühen Neuzeit denken, in dem Strategien der Fragmentierung und des systematischen Schnitts das Erscheinungsbild künstlerischer, wissenschaftlicher und politischer Projekte der Avantgarde prägten. Die Thematik dieses diskontinuierlichen, intellektuellen und künstlerischen „Spiels“ entwickelte sich an diesem Abend immer mehr zu der Frage des Negativen, des Unheimlichen („des Schattens, den wir umarmen sollten“) und der (Re)Aktion der Kunst und des Künstlers. Die Antwort schien mir schon im synchronen Ablauf der Arbeit der Malerin, projiziert auf die Großleinwand, der tänzerischen Performance, dem Gesang, der Text-Rezitation und – nicht zuletzt – der Diskussion vor und im Publikum („Publikum“ im ursprünglichen Sinn als „Öffentlichkeit“) zu bestehen: Die Kunst und die Wissenschaft als Spiel: agierend, interagierend, reagierend, sezierend, kombinierend.
Durch die Globalisierung ist nun die ganze Welt zum Spielraum geworden, oder, um mit Heidegger zu sprechen, zum „Zeit-Spiel-Raum“. Die „Global Player“ sind angesagt, gleich mit welchem Zungenschlag und Diktion. All the world’ s a stage? Eine Bühne für wen? In einer Tragödie, Komödie oder gar Tragikomödie? Anstatt in vorgestrigen Kategorien des „Kampfes der Kulturen“ zu denken und zu agieren, sollte man lieber die Welt als Spiel begreifen, als Welt-Spiel also. Diese Metapher reicht von der frühen Menschheit – vom indischen Vedanta und den Anfängen der Philosophie im alten Griechenland – über das „theatrum mundi“ des Mittelalters und des Barock bis hin zu Nietzsche, zu dessen zentralen Themen das Weltspiel gehört, beispielhaft verkörpert in Heraklits Fragment B 52: Die Zeit (aion) ist ein Kind beim Brettspiel, eines Kindes ist die Herrschaft. Es ist die Leistung Nietzsches, das spielende Weltkind aus dem Bereich des Mythos in den des modernen – und postmodernen – Denkens geholt zu haben, indem er die Weltzeit, also das Kind, das spielt, nicht nur mit Zeus sondern mit dem Künstler identifiziert, dessen immer neu erwachender
Spieltrieb andere Welten ins Leben ruft und sie gesetzmäßig und nach inneren Ordnungen formt.
In einem stimmen wir Heutigen allerdings ihm nicht mehr zu, dass dieses Spiel jenseits von Gut und Böse sei. Stattdessen betonen wir die Regelhaftigkeit des Spiels, la règle du jeu, ohne das kein Spiel möglich ist. Auch das Diskontinuierliche muss letztlich im Regelwerk enthalten sein. Dies zu kalibrieren scheint mir das zentrale Problem des heutigen Weltspiels zu sein.
So kann das synchrone und diachrone, das kontinuierliche und das diskontinuierliche, das intellektuelle und das unbewusste, das konstruktive und das destruktive Spiel, wie es sich im DantonDenkRaum realisiert, von einem Weltspiel zu einer Weltmetapher werden: Metapher als Bild als Trugbild als Wirklichkeit als wirkend…
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